5 Begriffe, die Treue in der Beziehung neu definieren
Früher war ich furchtbar eifersüchtig. Ging mein Freund abends noch mit Kollegen aus, witterte ich Betrug. Klickte er gerade ein Fenster im Browser zu, wenn ich ins Zimmer kam, hatte er bestimmt heimlich mit einer anderen gechattet. Dabei hatte ich schon immer das Gefühl, dass nicht seine Treue in unserer Beziehung, sondern mein Selbstwertgefühl das Problem war.
Heute lebe ich in einer offenen Ehe. Dass ich mit meinem Mann in den Swingerclub gehen und ihm auch Dates gönnen kann, ging nicht von heute auf morgen, sondern war ein langer Prozess. Die größte Rolle spielt darin mein Selbstwertgefühl. Hier möchte ich mit dir teilen, was ein schwaches Selbstwertgefühl für die Treue in einer Beziehung bedeutet – und dir 5 Begriffe an die Hand geben, die dein Bild von Treue erweitern.
Inhaltsverzeichnis
Wo fängt Fremdgehen an – schon im Kopf, oder erst im Bett? (5 Beispiele)
Fragt man 5 Menschen, was sie unter Treue in einer Beziehung verstehen, erhält man vermutlich 6 unterschiedliche Antworten, die zum Beispiel so aussehen könnten:
- Auf einer Party jemand anderen zu küssen: ein harmloser Ausrutscher, wenn es unter Alkoholeinfluss passierte – aber unverzeihlich, wenn es nüchterne Absicht war?
- Eine innige Freundschaft zur Exfreundin – kann ich ihm das gönnen, oder sehe ich die darin die Treue in der Beziehung verletzt?
- Gelegentliche One-Night-Stands finden manche okay, solange keine Gefühle im Spiel sind. Paradoxerweise sind die meisten gleichzeitig der Meinung, dass Sex erst mit der Wiederholung gut wird.
- Nur mit dem Partner schlafen, aber beim Sex an einen anderen denken – was bedeutet das für die Treue in einer Ehe? Manch eine/r würde ausrasten, wenn er wüsste, was in intimen Momenten wirklich im Kopf seiner Frau los ist. Egal ob es nur um eine abstrakte Gruppensexfantasie geht, oder um den konkreten neuen Kollegen.
- Andere Paare sind entspannter: solange vorher um Erlaubnis gefragt wird, ist der Seitensprung in Ordnung. Erst das Verheimlichen einer Affäre würde für sie Untreue bedeuten.
Besitzanspruch ist ein Problem
Vergleicht man diese vielen unterschiedlichen Definitionen von Treue, wird deutlich, wie individuell die Grenze zwischen Treue und Untreue ist. Selbst Menschen in einer offenen Beziehung haben ihre eigene Vorstellung von Treue.
Was diese Beispiele dennoch gemeinsam haben ist eine kontrollierende und besitzergreifende Einstellung zur Treue in der Beziehung: Mein Partner gehört mir und muss deshalb nach meinen Regeln leben. Oder nach den Regeln, die ich als allgemeingültig voraussetze.
Es ist klar, dass Kontrollverhalten aufgrund einer ungleichen Machtdynamik eine Beziehung toxisch macht. Darum soll es in diesem Beitrag nicht gehen. Mich interessiert vielmehr, wie eng ein geringes Selbstwertgefühl mit dem Thema Treue in der Ehe oder Beziehung verbunden ist.
Was Selbstwertgefühl mit Treue zu tun hat
Durch meine Depression und die begleitende Therapie bekam ich Gelegenheit, mein Selbstwertgefühl zu hinterfragen. Mit nützlichem Nebeneffekt: Mit steigendem Selbstwertgefühl hat sich auch meine Vorstellung von Treue entspannt.
Indem ich Vertrauen in mich und meine Fähigkeiten entwickelt habe, sind meine Selbstzweifel weniger geworden. Gleichzeitig ist die Angst kleiner geworden, dass mein Partner mich verlassen könnte.
“Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit.”
Søren Kierkegaard
Heute bin zufriedener mit mir selbst und haben weniger das Bedürfnis, mich mit anderen zu vergleichen. Ich habe zwar immer noch ab und zu eifersüchtige Gedanken, weiß aber auch, wie ich darauf reagieren kann, damit sie mich nicht beherrschen.
Ich muss heute nicht mehr fürchten, meinen Freund bei erster Gelegenheit an eine andere zu verlieren. Vor allem deshalb, weil ich Treue nicht mehr eindimensional mit dem Unterleib sehe, sondern ihre Vielschichtigkeit erkannt habe. Und das Besondere, das aus einer neuen Definition von Treue entstehen kann.
High Fidelity – Treue in der Beziehung neu definiert
fidelity [faiˈdeliti] = Treue, Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit
Quelle: Langenscheidt Wörterbuch
Folgende Werte umschreiben Treue auf eine Weise, die gar nichts mit Sex zu tun hat. Indem wir uns mit diesen Varianten der Treue auseinandersetzen, passiert etwas Spannendes: Sie nehmen der rein sexuellen Treue das Gewicht. Damit eröffnen wir unserer Beziehung einen neuen Spielraum, in dem Wachstum und Freiheit möglich werden.
1. Loyalität
Lass Deinen Partner bei Problemen nicht fallen. Steh auch schwierige Zeiten zusammen mit ihm durch (Krankheit, Probleme mit der Arbeit, den Tod der Eltern…). In guten Zeiten treu sein ist leicht. Wirkliche Treue wächst in der Krise.
2. Ehrlichkeit
Lüge nicht in Dingen, die den anderen verletzen würden. Wenn Du das Gefühl hast, etwas lieber zu verheimlichen, ist das gerade ein Grund, genauer hinzuschauen.
3. Verletzlichkeit
Zeige Deine Ängste und Schwächen und teile Deine Sorgen mit Deinem Partner. Niemand ist perfekt. Fast jeder von uns hat einen kleinen Teufel auf der Schulter, der uns kritisiert oder Selbstzweifel einflüstert. Indem wir uns verletzlich zeigen, schaffen wir die Basis für tiefe Nähe.
4. Absicht
Habe den Willen, das Leben mit Deinem Partner teilen zu wollen, eine gemeinsame Zukunft zu planen. Das bedeutet nicht zwangsläufig Kinder/Haus/Karriere. Absicht zeigt sich auch in kleinen, alltäglichen Dingen: Mein Freund teilte mir im September mit, dass er fürs Silvesterdinner in einem unserer Lieblingslokale reserviert habe. Für mich ein inniger Treuebeweis, da es für ihn außer Frage stand, dass wir dann zusammen sein und gemeinsam feiern werden.
5. Unterstützung
Dein Partner hat Vorhaben oder Träume, die ihm wichtig sind, vielleicht mehr als er es sich selbst eingesteht?Versuche, dabei hinter ihm zu stehen. Dafür musst Du diese Träume nicht teilen – es reicht, einen Kompromiss zu suchen. Dein Partner und Du seid schließlich keine verschmolzenen Seelen, sondern eigenständige Menschen.
Er will Fliegenfischen lernen und dann einen VW-Käfer-Verein gründen? Sie will endlich ein halbes Jahr im Ausland arbeiten, weil sie es sich im Studium nicht leisten konnte? Schaut euch diese Träume gemeinsam an, ohne gleich die “Das ist doch Unsinn und lohnt sich nicht”-Keule zu schwingen. Euch das Träumen und Groß-Denken zuzugestehen bedeutet “Ich sehe Dich, ich nehme Dich ernst”.
Treue ist so viel mehr als sexuelle Exklusivität
Sexuelle Treue gilt in den meisten Beziehungen als oberstes Gebot. Sie zu verletzen, bedeutet nicht selten das konsequente Beziehungs-Aus. Gleichzeitig aber wird Sex als so geringwertig eingestuft, dass man dafür doch nicht “durch fremde Betten hüpfen” muss. Was ist so schwer daran sich zu beherrschen? Ich finde das bigott.
Trau Dich, und überdenke Deine Vorstellung von Treue neu. Ob monogam oder offene Beziehung – es kommt drauf an, was Du draus machst. Du kannst diesen Text am Anfang allein auf Dich wirken lassen, Dein Unterbewußtsein den Job tun lassen, bis Du eines Tages merkst, dass Du entspannter wirst und weniger eifersüchtig. Spätestens dann sprich auch mit Deinem Partner darüber.
Denn eins bleibt bei aller Neudefinition von Treue in der Beziehung unerlässlich: Sich auf einen gemeinsamen Nenner zu verständigen.
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